Ein magisches Plätzchen, abgeschirmt vom Rest der Welt, getragen (zum Teil im Wortsinn) von den besonderen Talenten der Familie Madrigal: Das ist “Encanto”, ein Ort irgendwo in Kolumbien. Gegründet auf der Flucht – man sieht das in der einen oder anderen Rückblende – gibt dieses Dorf seinen Bewohner_innen Schutz und Heimat. Die Madrigals erhalten alle ab einem bestimmten Alter besondere Fähigkeiten, und die Abuela, die Großmutter, wacht darüber, dass sie sie zum Wohle der Gemeinschaft einsetzen, allein schon aus Dankbarkeit dafür, diese Gaben erhalten zu haben.
The odd one out, die Außenseiterin in der Mitte des Geschehens, das ist Mirabel Madrigal, stets bester Stimmung, ausgleichend und vermittelnd – aber bei ihrem Einführungsritual blieb die Magie stumm, nach wie vor zeigt sie kein besonderes Talent. Allerdings ist sie dann die erste, die nicht nur erkennt, sondern offen ausspricht, dass das magische Haus, in dem sie wohnen (und mit ihm die Magie seiner Bewohner_innen) Risse zu bekommen scheint.
Kulturell deutlich in Südamerika positioniert
Mit Encanto setzt Disney seinen Weg bei Animationsfilmen fort, seine Heldinnen weniger in gewöhnliche romantische Beziehungen zu verwickeln und sie kulturell außerhalb des amerikanischen Mainstreams zu positionieren. Während Raya und der letzte Drache in einem vage asiatischen Kulturmix positioniert war, positioniert sich der Debütlangfilm von Jared Bush, Byron Howard und Charise Castro Smith (Bush und Smith sind auch für das Drehbuch verantwortlich) klar an einem bestimmten Ort in Südamerika.
Ob das kulturell (Familienbande) wie ästhetisch wirklich aufgeht, kann ich nicht beurteilen, auch ob die Musik (die ganz wunderbare, was kaum wundert: sie kommt von Germaine Franco und Lin-Manuel Miranda) diesem Ort gerecht wird; im (natürlich englisch-, nicht spanischsprachigen Original) sind jedenfalls jede Menge Latinx-Sprecher_innen zu hören, allen voran Stephanie Beatriz als Mirabel.
Jede magische Familie ist auf ihre eigene Weise glücklich
Mirabel, die sich unterschwellig schuldig dafür schuldig fühlt, dass die Magie ihrer Familie brüchig wird – allerdings weniger, weil sie etwas falsch gemacht hätte, und mehr, weil alle anderen ihr unterschwellig oder offen die Schuld geben für alles, was so schiefgeht – macht sich auf die Suche nach der Ursache. Und legt dabei Schicht um Schicht, Hohlraum für Hohlraum, ein wenig mehr Familiengeschichte offen.
Natürlich sind es auch hier, wie in den meisten Familien, die unausgesprochenen Dinge, die Tabus und Verletzungen, die das Leben bestimmen – und nur eine offene Auseinandersetzung damit kann so etwas wie Heilung und womöglich auch Magie bringen. Encanto versteht es dabei elegant, die dunklen und destruktiven Untertöne zwar zu zeigen (oder auch nur anzudeuten), aber zugleich Disney-tauglich in Wohlgefallen und Heilung münden zu lassen.
Licht bis in die letzten Ecken des Hauses
Das ist immer noch nicht so düster, wie es manche Animationsklassiker des Hauses zugelassen haben, aber es erlaubt doch, bei aller Leichtigkeit, auch eine gewisse emotionale und charakterliche Tiefe – vor den wirklich ernsten Fragen und Konflikten weicht Encanto aber am Ende auch noch aus.
Bis dahin wird nicht nur viel gesungen (mit geradezu bollywoodesquen Inszenierungen), es ist auch eine Freude, vor allem den magischen Sperenzchen des Hauses zuzuschauen, dass die Madrigals bewohnen. Am Ende zählt im Happy-End die Liebe, wer wollte sich da beschweren.
Encanto. USA, Kolumbien 2021. Regie: Jared Bush, Byron Howard, Charise Castro Smith, 102 Minuten. FSK 0, empfohlen ab 9 Jahren. Kinostart: 24. November 2021. Auf Disney+ in der Flatrate enthalten, auf zahlreichen Plattformen als digitaler Kauf verfügbar. (amazon.de)
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(Foto: Disney)
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