Festivals Filmkritiken

Berlinale 2014: Jack und das Kuckucksuhrherz (2013)

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„Sie hat Vielleicht gesagt!“ Nur wer auf den Fragezetteln „Willst du mit mir gehen?“ schon zu oft ein „Nein“ bekommen hat, wird Jacks ekstatische Reaktion verstehen, als seine Angebetete ihm nicht direkt Ablehnung entgegenschleudert. Bis dahin war es schon ein weiter Weg.

Ganz ehrlich: Ich möchte diesen Film sehr, sehr lieb haben. Da ist eigentlich alles drin, wonach mein Herz sich sehnt. Eine solide, ach was, ausgiebige Portion Steampunk (vom Herz des Protagonisten, das ein komplexes Uhrwerk ist, bis hin zu den komplexen Apparaturen und Zügen, die den Film durchziehen), ganz viel düsterer Gothic chic, Figuren, deren Anatomie und Gestaltung den wunderbaren Animationsfilmen von Tim Burton und Henry Selick entsprungen sein könnten, das Ganze als Musical und dennoch enorm tauglich für etwas ältere Kinder. Aber ach.

Der kleine Jack wird am kältesten Tag der Geschichte geboren, und als seine Mutter, halb erfroren, vor der Tür der Hebamme und angeblichen Zauberin Madeleine zu Boden stürzt, kann sie das ungeborene Kind nur retten, indem sie das gefrorene Herz durch ein mechanisches Konstrukt aus Zahnrädern und Schwungrädern ersetzt. Die Mutter flieht in tiefen Selbstzweifeln, und Madeleine zieht den kleinen Jack auf – mit drei Regeln zum Erhalt seines fragilen Herzens – nicht an den Zeigern drehen, die Gefühle mäßigen, und deren wichtigste: Verlieb dich nicht, es wäre dein Tod.

Das klappt natürlich nicht: Der sensible Jack trifft bei seinem ersten ernsthaften Ausflug in die Welt da draußen – er besteht darauf, nicht eingesperrt zu bleiben im Haus oberhalb der Klippe – ein junges Mädchen, die singend an einer Drehorgel steht. Natürlich ist es sofort um ihn geschehen, aber wegen eines Missverständnisses und einiger Komplikationen sehen sich die beiden erst viel später wieder, da ist er ihr nachgereist von Edinburgh durch halb Europa nach Spanien… wie wird das mit der Liebe?

Jack et la mécanique du cœur, inspiriert durch das gleichnamige Buch von Mathias Malzieu, steckt voller wunderbarer Ideen: Jack trifft auf seiner Reise Georges Méliès, den Zauberer und Erfinder, der zu einem der frühen Magier des Films wird (Martin Scorsese hat ihm kürzlich in Hugo ein Denkmal gesetzt, und hier ist es Jack, der ihm den entscheidenden Trick weist zum funktionierenden Cinematographen), und so verbinden sich die Tricktechniken des frühen Films mit dem komplett computergenerierten Film der Gegenwart. Die Regisseure – Autor Malzieu selbst, zusammen mit Stéphane Berla – variieren aber zugleich die Bilderwelten, manchmal wirkt die Szenerie wie aus Papier ausgeschnitten, und alles hat die Plastizität gebastelter Figuren.

Wenn Jack überrascht oder aufgeregt ist, auch wenn er nur niesen muss, springt schon einmal ein Kuckuck aus der Klappe oberhalb seines Herzens. Doch Jack ist mit seinem halbmechanischen, seltsamen Körper kein Einzelfall: Da ist der Mann, dessen Rückgrat ein Glockenspiel ziert, und im „Extraordinarium“, in dem Jack die angebetete Miss Acacia findet, gibt es Frauen mit Flügeln oder mit zwei Köpfen, letztere wird zu Meliès’ Muse (und vielleicht Geliebter).

Alles atmet hier bezaubernde Melancholie, von Jacks Geburt bis zum wunderbar offenen Filmende – und doch blieb eben ein letzter Rest, der mich unberührt zurückließ. Vielleicht liegt es daran, dass die Ästhetik zu sehr geliehen wirkt, oder daran, dass Thematik und Motive, all der Steampunk und das Leiden an der Welt, nicht recht mit Leben erfüllt wirken, sondern wie berechnet aneinandergefügt. Zugleich fügen sich jedoch die zahlreichen Gesangsstücke in Haltung und Musik nicht so ganz in Stimmung und Handlung des Filmes ein (mit Ausnahme des schönen Geburtstagsständchens, das als Begräbnissong daherkommt). Es fehlt dem Ganzen, so scheint mir, die Stimmigkeit und der Charme ähnlicher französischer Unternehmungen wie z.B. Ein Monster in Paris.

Vielleicht stören mich aber nur Kleinigkeiten, die anderen egal sind; denn erst einmal ist das eine durchaus elegante, leicht bizarre Liebesgeschichte, schön animiert und einfallsreich; nur mir scheint es manchmal ein wenig so, als ticke darin ein Uhrwerk statt eines Herzens. Tick tack, tick tack.

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Jack und das Kuckucksuhrherz (Jack et la mécanique du cœur), Frankreich 2013. Regie: Mathias Malzieu, Stéphane Berla, 94 Min. Empfohlen ab 12 Jahren (Berlinale).

(Foto: Berlinale)

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