Festivals Filmkritiken

Berlinale 2024: Es ist okay (2023)

Berlinale-Logo Dieser Beitrag gehört zu meiner Berichterstattung von der Kinder- und Jugendfilmsektion Generation der Berlinale 2024. Alle Berichte von diesem Festival gibt es hier im Blog unter dem Tag #berlinale.

Tote Mütter sind (bei weitem nicht nur) mein pet peeve im Kinderfilm, eine Kleinigkeit, die mich sehr schnell ärgert, wenn sie nur als erzählerische Stenographie genutzt wird, aus, pardon, in den meisten Fällen Faulheit.

Gerade für eher als Dramen angelegte Kinder- und Jugendfilme wird das gerne genutzt (auf einem gerne genutzten zweiten Platz: erzwungener Umzug, weil die Eltern sich getrennt haben, eine neue Arbeitsstelle antreten usw. usf.), weil es die kindlichen Protagonist_innen deutlich sicht- und für alle nachvollziehbar in eine Position der Verunsicherung und erzwungenen Selbständigkeit drückt – eine Krise also, die alles in Frage stellt und die Figuren zu Bewegung und Veränderung zwingt.

Eben weil das als Motiv eher in jenen Kinderfilmen auftaucht, die sich mehr für die innere Entwicklung ihrer Figuren als für Action und Geschrei interessieren, treten tote Mütter auf Kinder- und Jugendfilm-Festivals subjektiv sehr gehäuft hat; so viele Halbwaisen sitzen Gottseidank gar nicht im Publikum.

Auch die Berlinale Generation ist jetzt nicht frei davon: Im koreanischen It’s Okay, dem Langfilm-Regiedebüt von Kim Hye-young, die zusammen mit Cho Hong-jun auch für das Drehbuch verantwortlich ist, stirbt die Mutter der Protagonistin In-young (Lee Re) gleich in den ersten Minuten in einem sehr abrupten Autounfall, während ihre Tochter gerade für und mit ihrer Tanzschule auf der Bühne steht.

Was dann passiert, folgt einer recht bekannten Logik: In-young hat an der Schule wenig Freundinnen, im Gegenteil wird auf sie herabgeschaut, weil sie als Waisenkind ohne Schulgebühren, als „Schmarotzerin“ dabei sein darf. Vor allem Na-ri (Chung Su-bin), die Tochter einer reichen Gönnerin der Schule, ist mit ihren Freundinnen gemeinsam da sehr deutlich. Wie sich später herausstellt, gehört diese Mutter ebenso wie In-youngs Mutter zu einem Kreis von Frauen, die selbst Schülerinnen der Tanzschule waren, einer der renommiertesten Schulen für traditionellen koreanischen Tanz in Seoul.

Zu diesem Kreis gehört auch Seol-ah (Jin Seo-yeon), die als Choreographin die Schülerinnen betreut; sie stellt irgendwann zufällig fest, dass In-young sich heimlich in der Tanzschule eingenistet hat, im Übungsraum nachts ein kleines Zelt aufstellt; aus der Wohnung ihrer Mutter ist sie irgendwann rausgeflogen, weil sie keine Miete zahlen konnte.

Neben Schule und Tanzschule jobbt sie nachmittags zusammen mit einem Mitschüler in einem kleinen Geschäft, ihre Gefühle beichtet sie einem jungen, auch ein wenig einsamen Apotheker, der sich mit Vitaminen und freundlichen Worten um sie kümmert.

Seol-ah nimmt sie bei sich auf, und nach und nach erweicht In-young das Herz der so einsamen wie hyper-disziplinierten Tanzlehrerin, die sich nur von Wasser und grünen Gemüse-Smoothies zu ernähren scheint; die Ziehtochter bringt dann Kohlenhydrate, bringt Reis und Eier und Fleisch und Algensuppe in den Haushalt.

Das ist so charmant wie vorhersehbar, mit gutem Ende und einigen Lachern, irgendwann sogar etwas Grusel und Blut, und findet schließlich ein gutes Ende, in dem Feindschaften aufgelöst und Einsamkeiten beendet werden. So weit, so weltweit verständlich und herzig. Gleichzeitig ist der Film durch und durch spezifisch koreanisch in vielen Themen und Abläufen, immer auch ein wenig fremd für europäische Augen.

Und natürlich sind die Tanzsequenzen großartig, in Rhythmus und Inszenierung, auch mit der Handlung verwoben; die jungen Hauptdarstellerinnen mussten sich den Tanz noch aneignen, unterstützt werden sie von einem sichtbar zurecht renommierten Ensemble.

Dennoch schwächelt der Film durch seine Grundprämisse, nämlich dem nahezu unzerstörbar positiven Wesen von In-young. Sie entwickelt sich nur bedingt, und wirkt (auch wenn der Film einen großen Sprung macht vom dramatischen Anfang zu „Ein Jahr später“) viel zu organisiert, sortiert und gut gelaunt für ihren Platz im Leben. Das ist ein wenig zu einfach, ein wenig zu märchenhaft – darin Rocca ändert die Welt nicht ganz unähnlich.

Eine etwas widersprüchlichere, auch hadernde Hauptfigur hätte dem Film gut getan, womöglich hätte sie auch einen anderen Weg ins Herz der Choreographin gefunden. Man bleibt am Ende schon etwas irritiert zurück: Dafür musste eine Mutter sterben?

(Einen Trailer gibt es hier.)

Es ist Okay (It’s Okay!/괜찮아 괜찮아 괜찮아!). Südkorea 2023. Regie: Kim Hye-young, 102 Min. Noch ohne FSK. Läuft auf der Berlinale.

(Fotos: Berlinale/Twomen Film)

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