Festivals Filmkritiken

Nachtwald (2021)

Logo Goldener Spatz Dieser Beitrag gehört zu meiner Berichterstattung vom Deutschen Kindermedienfestival Goldener Spatz 2021. Alle Berichte von diesem Festival gibt es hier im Blog unter dem Tag #goldener-spatz.

Paul und Max sind nicht unbedingt dickste, engste Freunde, eher eine Schicksalsgemeinschaft der Außenseiter, von den Halbstarken ihrer Klasse lächerlich gemacht. Pauls Vater ist seit einem Jahr verschwunden, Max ist übergewichtig und ein wenig ungeschickt, und das sind nur die unmittelbar sichtbaren Dinge, wegen derer die zwei gehänselt werden.

Pauls Mutter hat einen neuen Freund, der nun bei ihnen einziehen will, aber der Junge will einfach nicht glauben, dass sein Vater sie einfach so verlassen hat. Also zieht der Zwölfjährige mit Max zusammen bei Nacht und Nebel los, um die Höhle zu suchen, deren Existenz sein Vater unbedingt beweisen wollte, „die wahrscheinlich größte unentdeckte Höhle Deutschlands“, irgendwo in der Schwäbischen Alb. So stolpern und klettern und fliehen sie (irgendwann tauchen Polizist_innen auf, die ihren Spuren folgen) durch den Wald, nur mittelgut auf das Leben draußen vorbereitet und dafür ausgerüstet; aber wie es so ist: Unter besonders großen Herausforderungen lernt man sich selbst und einander dann eben doch besser kennen.

André Hörmanns Nachtwald ist ein Abenteuerfilm und Freundschaftsfilm, der die ganz großen Brocken stemmen will. Dafür werden die Kinder mit ziemlichen Päckchen beladen: Max wird von seinem Vater geschlagen, Pauls Vater ist nicht nur verschwunden, sondern hatte offenbar bipolare Depressionen oder andere Herausforderungen im Umgang mit Dritten – genau benannt wird es nicht, aber man sieht in einem Rückblick, wie er im Bademantel den Stadtrat versucht davon zu überzeugen, seine noch nicht gefundene Höhle könne ein Touristenmagnet sein.

Zu viele Themen

So interessant das alles ist – dem Film gelingt es leider nicht, aus seinen vielen Themen auch wirklich Funken zu schlagen. Vage wird angedeutet, dass die Krankheit des Vaters womöglich auch bei Paul in Erscheinung treten könnte, aber obwohl der Junge mehrfach seltsame Erscheinungen hat (vielleicht im Traum, vielleicht auch nicht), suggeriert der Film, das Bestehen des Abenteuers genüge, um Krankheit und Traumata zu überwinden. Das ist natürlich eine narrative Methode, die das Hollywood-Actionkino gerne nutzt – der (in der Regel männliche) Held überwindet seine Probleme, in dem er einen übermächtigen Gegner besiegt –, aber für einen Film, der zugleich Abenteuer und Drama sein will, genügt es nicht.

Statt einer wirklichen Katharsis und Selbsterkenntnis gibt es am Ende eine Auflösung, die zwar nicht „ex machina“ ist, der aber eben auch keine wirklich überzeugende persönliche Entwicklung vorangeht.

An den beiden Hauptdarstellern liegt das nicht: Levi Eisenblätter und Jonas Oeßel machen ihre Sache sehr gut, auch und gerade in der ambivalenten Chemie zwischen ihren beiden Figuren, die zwischen Notgemeinschaft, herzlicher Abneigung und beginnender Freundschaft hin- und herchangieren – eine für deutsche Kinderfilme so seltene wie ungewöhnliche Konstellation. Warum sie manchmal etwas gestelzten Dialoge mit aus der Zeit gefallenen Star Wars-Bezügen bekommen und ihre Figuren ein Heft mit nackten Frauen herumtragen müssen, man weiß es nicht.

Es knirscht im Abenteuer

Auf ihrem Weg durch den Wald (der hier stets wunderschön, geheimnisvoll und intakt aussieht) orientieren sich Paul und Max an den Aufzeichnungen des Vaters, vor allem an einer anscheinend mehrere Jahrhunderte alten „Ursúlensage“, deren in Reimen aufgesagte Landmarken wie Wasserstellen und Bäume wundersamerweise immer noch genau so aufzufinden sind… das wirkt dann leider alles sehr konstruiert, vom letzten Showdown mit Höhlendunkelheit und Zombienonnen (ja, echt) mal ganz abgesehen.

Nun gut, es muss ja nicht alles realistisch sein, aber der Übergang ins Naturmagische, den Hörmann (das Drehbuch stammt von ihm und Katrin Milhahn) versucht – ein Rabe tritt als Wegweiser ebenso auf wie Glühwürmchen – kann nie ganz überzeugen und wirkt auch nie konsequent. Vielleicht sind es doch eher Pauls Halluzinationen?

Oder liegt es alles an den Pilzen, die die beiden schon recht früh zu sich nehmen, weil sie nicht genug Essen eingesteckt hatten? Das Essen von Pilzen ohne ausreichende Kenntnis der verschiedenen Pilzsorten kann von diesem Rezensenten ausdrücklich nicht empfohlen werden, und Nachtwald bleibt noch sehr zurückhaltend darin, was dabei schief gehen könnte. Das Gleiche gilt übrigens für die Erkundung unbekannter Höhlen, von der dringendst abgeraten werden muss – und nicht primär wegen der Zombienonnen (ja), die darin wohnen könnten.

Nachtwald. Deutschland 2021. Regie: André Hörmann, 84 Min. Bisher ohne FSK, vom Festival Goldener Spatz empfohlen ab 10 Jahren. (Entspricht auch meiner Altersempfehlung.) Voraussichtlich 2022 im Kino.

(Foto: Filmfest München/Farbfilm Verleih/Felix Meinhardt)

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