Filmkritiken

Flow (2024)

Es beginnt damit, dass die Katze sich selbst im Wasser betrachtet. Hat diese Katze ein Verständnis von sich selbst, selbstverliebt wie Narziß, oder wenigstens ein Bewusstsein von sich als Teil der Welt, in Abgrenzung von anderen? Man traut Katzen ja einiges zu.

Aber danach sucht der Film zunächst (wenigstens anscheinend) nicht. Die Katze lebt auf einer waldbewachsenen Anhöhe, ein Haus gehört dazu, das schon erste Spuren des Verfalls zeigt, aber darin Katzenzeichnungen, die kleine, noch unfertige Holzfigur einer Katze, um das Haus herum noch mehr Katzenskulpturen, oben am höchsten Punkt des Hügels eine riesige Katzenfigur.

All das sehen wir nur, weil die Kamera der Katze folgt, durchs Unterholz hindurch, immer höher. Denn das Wasser steigt, es beginnt mit einer Flutwelle, davor eine Hirschstampede. Vor allem aber: kein Mensch, nirgends.

Das Wasser steigt, die Katze rettet sich auf ein vorbeitreibendes Segelboot, wo schon ein Capybara einen sicheren Platz gefunden hat; bald werden die beiden noch von einem Labrador, einem Lemur und einem Sekretärsvogel begleitet – die reduzierte Version einer Arche, während die Welt versinkt. Kein Regenbogen für die Menschheit, nirgends.

Flow ist eigentlich, will man konventionelle Kriterien anwenden, eine Postapokalypse, ein Blick auf eine Welt ohne Menschen, auch ohne menschliche Sprache. Anfangs erwartet man noch jeden Moment, die Bewohner des Hauses könnten auf einmal auftauchen, irgendwo eine menschliche Nase sich zeigen, aber nein: Die Menschen waren schon eine Weile nicht mehr hier, sie haben nur Spuren hinterlassen, die zuweilen vage an asiatische Kulturen denken lassen, die große Stadt hingegen zeigt Merkmale klassischer europäischer Architektur – aber es ist auch belanglos, es sind nur Überbleibsel.

Und dennoch ist das kein hoffnungsloser Film, im Gegenteil. Weil er anhand der Tiere immer noch vom Überleben erzählt, von kleinen Abenteuern und einer seltsamen Gemeinschaft. In der die Tiere keineswegs antropomorphisiert sind und dennoch in all ihrem Tier-Sein menschliche Charakteristika anzunehmen scheinen. Der Lemur natürlich vor allem, der glänzende Gegenstände und Muscheln zu sammeln scheint, dem Besitz über alles geht: Ein Rückblick darauf, wie nutzlos das alles gewesen sein muss.

Aber Hund und Katze, Vogel und Wasserschwein beginnen auf diesem kleinen Boot aufeinander Rücksicht zu nehmen, geben sich Raum und helfen einander. Sogar die Katze, Inbegriff des egozentrischen Raubtiers, spendiert den anderen Fische, die sie gefangen hat.

Das alles ist animiert in einem Stil, der vage an Computerspiele erinnert, seltsam unvollkommen und dann doch magisch, mit einer frei sich bewegenden „Kamera“-Perspektive; immer nah an der Katze, klar als Hauptfigur identifiziert. Begegnungen wiederholen sich: Eine Gruppe Lemuren, ein Rudel Hunde, ein mythisch überformter Wal.

Am Ende schließt sich der Kreis: Die Katze blickt wieder in einem stehenden Gewässer auf ihr Spiegelbild, aber nun sitzen ihre Gefährt*innen aus dem Boot neben ihr. Eine Gemeinschaft ist entstanden, und wir haben einen der schönsten, rätselhaftesten und gelungensten Animationsfilme der letzten Jahre zu Gesicht bekommen. Was für ein ganz und gar eigen-artiges Meisterwerk.

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Flow. Lettland, Frankreich, Belgien 2024. Regie: Gints Zilbalodis, 84 Min. FSK 6, empfohlen ab 10 Jahren. Kinostart: 6. März 2025.

(Fotos: MFA+/Dream Well Studio, Sacrebleu Productions, Take Five)

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