Alexander Matzkeit hat in seinem eigenen Blog und für kino-zeit.de ausführlich – mit Podcasts und Berichten – vom diesjährigen ITFS berichtet. Er hat sich freundlicherweise bereit erklärt, hier fürs Blog auch etwas über die Kinderfilme zu schreiben, die er dort sehen konnte. Vielen herzlichen Dank!
Ich habe (leider) noch keine eigenen Kinder, deswegen habe ich bei meinem Besuch des Internationalen Trickfilmfestivals Stuttgart (ITFS) nicht gezielt nach Kinderfilmen gesucht. Aber auf einem Festival für Animationsfilm kommt man natürlich an Filmen, die für Kinder geeignet sind oder gemacht wurden, nicht vorbei. Und für das Kinderfilmblog fasse ich meine Eindrücke gerne zusammen.
Fangen wir am Ende des Festivals an. Das magische Haus feierte am letzten Tag in Stuttgart seine Deutschlandpremiere, gute drei Wochen vor seinem regulären Kinostart am 22. Mai. Der belgische Regisseur Ben Stassen zeichnet auch für Werke wie Fly me to the Moon und Sammys Abenteuer verantwortlich. Einen ziemlich langweiligen Trailer hatte ich auch mal im Kino gesehen – meine Erwartungen waren also gering.
Erstaunlicherweise aber ist Das magische Haus richtig gut – auch wenn die Geschichte sehr einfach ist. Die Katze Thunder wird von ihren Eigentümern ausgesetzt und landet auf der Suche nach einem Schlafplatz im Haus eines netten, alten Bühnenzauberers, der Thunder (wenn auch gegen den Willen des Kaninchens Jack und der Maus Maggie) bei sich aufnimmt. Als der raffgierige Neffe des Zauberers auftaucht und das Haus seines Onkels verkaufen will, müssen sich die Tiere und allerlei lebendige mechanische Wesen, die der Zauberer erschaffen hat, zusammentun, um ihren Lebensraum zu retten.
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Das Ergebnis ist eine Art Variation des Kevin – Allein zu Haus-Riffs, in dem Eindringlinge mit cleveren Plänen und Maschinen immer wieder aufs Neue verjagt werden – inszeniert als Kinderfilm-Antwort auf Gravity, die aus dem 3D-Effekt das Maximum rausholt. Stassen arbeitet großzügig mit Ich-Perspektiven und allerlei durch die Luft fliegenden Gegenständen und macht Das magische Haus so zu einer spaßigen Achterbahnfahrt. Die Verjagungstaktiken sind übrigens deutlich weniger gewalttätig als bei Kevin und verlassen sich eher auf gezielte Taubendreck-Attacken und Überschüttung mit Frühstücksflocken, so dass auch jüngere Kinder gefahrlos zugucken können. Für die älteren Zuschauer runden die gut eingesetzten Synchronstimmen von Didi Hallervorden, Matthias Schweighöfer und Karoline Herfurth das Paket gelungen ab und verleihen ihren Charakteren sympathische Persönlichkeiten.
Ganz ohne Stimmen kommt Minuscule – Kleine Helden aus, der in der Schweiz bereits einen Kinostart hatte, aber in Deutschland noch auf sich warten lässt. Die Langfilmfassung der beliebten Kurz-Episoden-Serie kombiniert animierte Insekten mit realen Naturaufnahmen aus den französischen Alpen. Die Figuren sprechen nicht, sondern verständigen sich mit Triller- und Pfeiflauten. Dazu bekommen ihre Flügelschläge die Geräusche von Motorrollern verschiedener Größe angelegt.
Im Kino entfaltet sich das Privatleben der Insekten, wie der französische Untertitel der Serie lautet, natürlich in 3D. Ein kleiner Marienkäfer wird von seiner Familie getrennt, als er von einer Horde fieser Fliegen gejagt wird. Weil er einen verletzten Flügel hat, kann er nicht zu ihr zurück und schließt sich stattdessen einer Gruppe Ameisen an, die ihren größten Fund – eine Zuckerdose – zurück in den Bau transportieren. Doch der Zucker sorgt für Neider und ehe er sich versieht, muss der Marienkäfer die Schlüsserolle in einem ausgewachsenen Krieg zwischen schwarzen und roten Ameisen spielen.
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Es mag an der typischen Festivalmüdigkeit gelegen haben, die einen ungefähr auf der Halbzeit jedes Festivals heimsucht, aber ich fand die knuffige Idee der Kurzfilme auf Spielfilmlänge ausgedehnt ein wenig mühsam. Der Film musste zudem einige Glaubwürdigkeits-Volten schlagen, um seine Story am Laufen zu halten. Gerade sehr kleinen Zuschauern dürfte letzterer Punkt weniger etwas ausmachen – dafür machte sich aufgrund der Laufzeit irgendwann eine deutliche Unruhe im Kino bemerkbar. 70 Minuten hätten es sicher auch getan. Positiv hingegen: Minuscule verzichtet auf jedwede Gender-Markierung seiner winzigen Hauptfiguren – dafür sind die Insekten einfach nicht anthropomorph genug. Kinder aller Geschlechter sollten sich problemlos mit dem namenlosen Marienkäferhelden identifizieren können.
Der dritte für Kinder geeignete Langfilm, den ich gesehen habe, war im Katalog des Festivals ab 12 Jahren empfohlen und erscheint in Deutschland mit Sicherheit früher oder später auf DVD. Giovanni’s Island ist ein japanischer Anime auf halbem Weg zwischen Die letzten Glühwürmchen und Die Brüder Löwenherz und erzählt die Geschichte der Brüder Junpei und Kanta, die während des Zweiten Weltkriegs auf der kleinen Insel Shikotan im Norden Japans aufwachsen. Nach dem Krieg wird die Insel von der Sowjetunion besetzt und die meisten Inselbewohner finden sich mit ihrem Schicksal ab. Junpei und Kanta beginnen sogar eine zaghafte Freundschaft mit Tanya, der Tochter des sowjetischen Befehlshabers. Doch als ein Plan, die japanischen Bewohner mit mehr Essen zu versorgen, auffliegt, wird die gesamte Bevölkerung deportiert und die beiden Brüder von ihrem Vater getrennt. In einem russischen Arbeitslager eingepfercht fassen sie den Beschluss, ihren Vater suchen zu gehen, inspiriert von ihrem Lieblingsbuch, dem japanischen Kinderbuchklassiker “Die Nacht auf der galaktischen Eisenbahn”.
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Giovanni’s Island steht in der großen Tradition aufwändiger japanischer Animationsfilme. Das Studio “Production I.G” hat Anime-Klassiker wie Jin Roh, Ghost in the Shell und jüngst auch den Kinderfilm A Letter to Momo produziert. Der Film steht auch in der fast ebenso großen Tradition von Geschichten, die Krieg durch Kinderaugen erzählen und die Willkür und Gnadenlosigkeit der vermeinlich “erwachsenen” Konflikte dadurch umso schmerzhafter machen. Junpei und Kanta könnte es nicht egaler sein, ob sie in der Schule japanische oder russische Lieder singen, solange sie mit ihrer Familie und ihren Freunden ein würdevolles Leben führen können. Diese kindliche Unschuld und ihre Ungebrochenheit auch im Angesicht von Tod und Zerstörung treibt der Film in der dritten großen Tradition, der des japanischen Kitsches, manchmal ein bisschen zu weit – er bleibt aber ein bewegendes und visuell eindrucksvoll umgesetztes Dokument, das einem nicht einmal viel “gelernte” Anime-Sehgewohnheiten abverlangt.
Die Kinder-Kurzfilme des Festivals hat das Kinderfilmblog ja schon einmal vorab beleuchtet. In den zwei Programmen, die ich besucht habe (leider ausgerechnet die, in denen keine der später ausgezeichneten Filme liefen), fiel mir vor allem die Tatsache auf, dass das Kinderprogramm die einzige Bastion zu sein scheint, in der das deutsche Fernsehen noch Qualität aufweisen kann. Auf dem Trickfilmfestival erstmals zu sehen war unter anderem eine Episode von “Trudes Tier”, produziert vom Ludwigsburger Studio Soi (Der Grüffelo). Darin muss sich eine erstaunlich entspannte Frau namens Trude mit den kindlichen Ideen eines von Bernard Hoëcker gesprochenen Fabeltieres herumschlagen. Seit letzten Sonntag (27. April 2014) laufen die bisher drei produzierten Episoden von Trudes Tier als Lachgeschichten in der “Sendung mit der Maus” (Trailer). Äußerst ansehenswert.
Alexander Matzkeit ist – neben anderen Dingen – freier Film- und Medienjournalist zwischen Wiesbaden und Stuttgart. Er bloggt auf realvirtuality.info.
(Fotos: Studiocanal, privat)