Filmkritiken

Der König und der Vogel (1980)

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Alles ist in dieser seiner Welt auf den Herrscher ausgerichtet: Der König geht natürlich frei in seinem Schloss herum, weite Strecken – der Bau ist groß, ein Labyrinth – legt er jedoch fahrend, schwebend auf seinem Thron oder in Gefährten zurück. Fast überall verstecken sich Falltüren, durch die der Monarch unliebsame Diener rasch in Gefängnisse verschwinden lassen kann – die Zahl und Vielfalt der Kerker ist enorm. Wer nicht den Löwen als Futter dienen soll, arbeitet, so scheint es, in der an Chaplins Fließbänder gemahnenden Fabrik, in der Büsten und Bilder des Königs im Akkord gefertigt werden.

Die große Halle des Schlosses ist voll von Standbildern, die den Monarchen, heroisch und muskulös überhöht, bei der Jagd zeigen – das ist die einzige, echte Leidenschaft, belehrt und eingangs ein Vogel, die König Charles V + III = VIII + VIII = XVI von Takicardie hat. Der Vogel, nur nebenbei, ist die einzige richtige Opposition, die der König hat.

Es ist eine fast beängstigende, zugleich immer auch groteske, belustigende Welt, in der Paul Grimaults Der König und der Vogel beginnt – eine kaum versteckt protofaschistische Ordnung, in der es überall von Polizei und Soldaten wimmelt und der König seinen Gefangenen schon mal „Arbeit ist Freiheit!“ zuruft. Die Außenwelt und ihre einfachen Bewohner sind von dort innen weit, weit weg.

Im Schlafgemach des Königs, in dem auch ein paar der (wenigen) Bilder hängen, die ihn nicht selbst zeigen, setzt sich dann eines Nachts die Handlung in Bewegung. Zwei Figuren, eine Hirtin und ein Schornsteinfeger, deren Bilder stets nebeneinander hingen, entsteigen den Portraits und wollen fliehen, in eine gemeinsame Zukunft außerhalb dieser Rahmen – und natürlich außerhalb des Schlosses. Die Flucht aufs Dach gelingt ihnen nur knapp, aber Charles hat sie entdeckt und begehrt nun seinerseits die Hirtin zur Frau. Der Vogel, der dem Paar helfen will, und der Schornsteinfeger werden gefasst, die Hirtin hat keine Wahl…

Paul Grimaults Film basiert sehr los auf der Erzählung „Die Hirtin und der Schornsteinfeger“ von Hans Christian Andersen; es gab schon 1953 eine Fassung, damals auch unter dem Titel der Geschichte als La Bergère et le Ramoneur aufgeführt, für die Grimault gemeinsam mit Jacques Prévert das Drehbuch geschrieben hatte; Prévert, vor allem als Lyriker bekannt, war auch Drehbuchautor (u.a. für Kinder des Olymp, und steuerte neben Dialogen auch einige Chansons zu dem Film bei. Allerdings distanzierten sich sowohl Grimault als auch Prévert von dieser Fassung; die Version von 1980 weicht wesentlich von der alten ab.

Aber was für ein Kleinod, was für ein Glück ist das: Ein Film mit seinem ganz eigenen Erzählrhythmus, weitab vom Konzept einer, wie gewöhnlich, stetig voranschreitenden Handlung, mit einer Ästhetik (die Figuren, die Architektur), die sich ihre Vorbilder in der Kunst der klassischen Moderne sucht. Nicht weichgespült, das verhindert schon das Sujet, das den Kampf um Freiheit zuspitzt auf den Versuch der Liebenden, beieinander sein zu können; Widerstand gegen Herrschaft fokussiert auf das Recht, die Grundlagen des eigenen Lebens selbst bestimmen zu können. Aber all das eben als wilde Story voller seltsamer Einfälle, mit einem mehrsprachig begabten Vogel und einem riesenhaften Roboter. Was könnte besser sein?

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Der König und der Vogel (Le Roi et l’Oiseau), Frankreich 1980. Regie: Paul Grimault. 82 Minuten, FSK 6. (amazon: DVD)

Und auch arte hat fünf Gründe gesammelt, warum man sich diesen Film ansehen sollte:

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(Fotos: Studiocanal)

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