Filmkritiken

Königin von Niendorf (2016)

Da hat man so einen kleinen Kinderfilm aus dem tiefsten Brandenburg, ein wunderschönes Stück nachgerade meditatives Kino, und dann atmet das Ding eben doch deutsche Filmgeschichte aus, als gäbe es sonst nichts, schon in seinen Personen und Orten: Gedreht, geschrieben, produziert von Joya Thome, der Tochter von Rudolf Thome (spätestens seit Rote Sonne eine feste Größe im deutschen Nachkriegsfilm abseits der ausgetretenen Pfade), entstanden teilweise auf dem Hof ihres Vaters in eben jenem titelgebenden Dorf Niendorf, und dann spielt auch noch Sophie Kluge, Tochter von Alexander, in einer Nebenrolle mit.

Vielleicht erklärt das aber auch die unaufgeregte Gelassenheit, mit der dieser Film entstanden ist, bemerkenswert, beglückend für einen Debutfilm. Ohne öffentliche Förderung, weil das, wie man hört, eh viel zu lang gedauert hätte. Stattdessen an Ort und Stelle, zum Teil mit Laiendarstellern entstanden, finanziert aus Spenden und schließlich von einem Festival zum nächsten durchgereicht, von Max Ophüls über’s Filmfest München bis zum Goldenen Spatz. Der schönste, beste deutsche Kinderfilm seit langem.

Triple-F-Rated
Triple-F-Rated

Es geht hier erst einmal um gar nichts. Einfach nur ein Brandenburger Sommer, es sind Ferien, die anderen Mädchen “sind alle so komisch geworden dieses Jahr”, sagt Lea (Lisa Moell) – mit denen mag sie eigentlich ihre Zeit nicht verbringen, aber mit wem sonst? Die Zehnjährige stromert auf ihrem Fahrrad durchs Dorf, schaut immer mal wieder bei Mark (Mex Schlüpfer) vorbei, einem Aussteiger aus Berlin, der sich hier einen Hof gekauft hat und sich ebenfalls ohne besonderen Antrieb durch die Tage treiben lässt.

Sie beobachtet ein paar Jungs um ihren Anführer Nico (Denny Sonnenschein), die eine Plastiktonne klauen, und folgt ihnen an den See; dort basteln sich die Kinder ein Floß, aber Lea darf natürlich nicht mitmachen. Bis sie sie brauchen, um einem Rätsel auf die Spur zu kommen – wenn Lea das als Mutprobe mitmacht, darf sie mit ins Banden-Baumhaus und vielleicht auch aufs Floß.

Ein langer, ereignisloser Sommer, so zieht das Leben vorbei – immer bei gutem Wetter, in kurzen Hosen; die Eltern tauchen nur am Rande, meist visuell unscharf, überhaupt auf. Niendorf wirkt hier aus der Zeit gerissen, nicht nur weil der Sommer nicht vergeht, sondern auch, weil so wenig auf die moderne, durchtechnisierte Gegenwart hindeutet. Irgendwann wird ein Gespräch am Laptop per Skype geführt, das war es dann auch schon mit der Moderne.

Sieht man allein in Leas Gesicht (und das sieht man viel, Moell trägt den Film über weite Strecken quasi allein, eine wunderbare Entdeckung), dann sieht man da kein Lachen, überhaupt weitgehend wenig Bewegung. Man könnte das für die unendliche Tristesse des Dorflebens halten, aber dafür passieren dann doch zu viele Abenteuer. Mehr und mehr entsteht der Eindruck, man habe es hier mit fokussierter Konzentration zu tun. Mit dem Willen, dem Leben mehr abzutrotzen, Abenteuer zu finden, sich jedenfalls von der einen Gruppe nicht ausschließen zu lassen: Dann suche ich mir halt eine andere, und die will mich.

Zugleich aber leuchten die Farben hier bloß nicht zu bunt, gibt es jedenfalls keine glorifizierende Verschönerung des Landlebens, wie es der deutsche Kinderfilm gerne betreibt; es gibt Intrigen und Ängste und seltsame, auch sehr seltsame Menschen in diesem Dorf, und Thome diskreditiert keinen einzigen von ihnen. Die Kinder machen haarsträubende Sachen (und mindestens Leas zweite Mutprobe wird zu einigen ernsten Gesprächen mit den eigenen Kindern und Ermahnungen für sie führen: Denkt nicht im Traum daran, das nachzumachen!), und Königin von Niendorf verweigert sich einer eindeutigen Bewertung oder Positionierung: Das ist ein Film, der sein Publikum denken lässt und nachdenken lässt und all das in eine nur oberflächlich leichtfüßig erzählte Geschichte verpackt.

Wenn am Schluss Lea und ihre Bande sich nach einem Streich auf die Räder schwingen und gemeinsam durchs Dorf, durch die Felder fahren, dann mag das eine ungewisse, fragile, vielleicht gar fragwürdige Freiheit sein; aber sie trägt sich aus frisch aus der Gemeinschaft gewonnenem Selbstbewusstsein. Da ist ein Moment von Glück, in dem Lea der Welt auf einmal aktiv und offensiv gegenübersteht.

Und ein Moment, in dem vielleicht ein ganz, ganz kleines Lächeln in ihrem Gesicht zu sehen ist.

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Königin von Niendorf. Deutschland 2016. Regie: Joya Thome, 75 Minuten. Kinostart: 15. Februar 2018. FSK 0, empfohlen ab 8 Jahren. (Bestellen bei amazon; bei Amazon Prime)

(Fotos: LUPA Film)

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