Filmkritiken

Mister Link – Ein fellig verrücktes Abenteuer (2019)

Es ist ein bisschen lustig, dass für den deutschen Verleih der Filmtitel Missing Link zu Mister Link umgewandelt wurde, in der deutschen Synchronisation der Begriff „Missing Link“ dann aber genau so auf Englisch verwendet wird, nur en passant erklärt… zumal bei allem auch die Frage durchaus offen bleibt, ob der titelgebende Sasquatch denn nun wirklich in irgendeiner sinnvollen evolutionären Ordnung das Bindeglied zwischen nicht-menschlichen Primaten und dem Mensch darstellen könnte.

Mister Link also, der sich, in einer der schönsten Sequenzen des Films, selbst den Vornamen Susan gibt, ist so ein Wesen, das anderswo vielleicht auch Bigfoot heißen würde, aber jedenfalls sehr einsam in den Wäldern im Nordwesten der USA. So einsam, dass er den berühmten, aber wenig anerkannten britischen Entdecker Sir Lionel Frost anschreibt, ob dieser ihn nicht „entdecken“ könne – eigentlich, aber das kann er in seinem Brief nicht schreiben, möchte er ihn aber bitten, ihn in den Himalaya zu bringen, zu den Schneemenschen, in denen er Artsverwandte vermutet.

Susan wird auf diese Weise als schüchterne, recht verlegene, vor allem aber auch belesene Kreatur vorgestellt; dass aus seiner Beschäftigung mit vielen Büchern nicht mehr gemacht wird, ist meiner Wahrnehmung nach die größte Nachlässigkeit des Drehbuchs. Denn ansonsten geht es doch recht komplex her: Frost erklärt sich zwar gerne bereit, Susan zu helfen, denkt dabei aber zuallererst an sich selbst und seine Reputation – er will endlich in den berühmten Londoner Entdecker-Club aufgenommen werden. Susan ist im dabei ebenso Mittel zum Zweck wie Adelina Fortnight, die Witwe eines Freundes. Und dass ihnen ein Auftragsmörder auf den Fersen ist, verringert Frosts Entschlossenheit nicht unbedingt.

Die Laika-Studios sind für ihre komplexen, inhaltlich so anspruchsvollen wie technisch großartigen Animationsfilme bekannt, von Coraline bis hin zu Kubo: Der tapfere Samurai, bei dem die Stop-Motion-Animationen erstmals auch behutsam mit Computertricks ergänzt wurden. Diese Technik nutzt Regisseur Chris Butler für seinen zweiten Film nach dem wunderbaren, gruseligen ParaNorman nun auch, und die Ergebnisse sind stellenweise atemberaubend schön, erwecken auf jeden Fall eine Ästhetik, die sich – darin Die Piraten! aus dem Haus Aardman nicht unähnlich – an zeitgenössische Bilderwelten des späten 19., frühen 20. Jahrhunderts erfolgreich anschmiegt.

Dass der mit dieser Zeit und dem britischen Empire verbundene Kolonialismus (und Imperialismus) kaum einmal in Andeutungen thematisiert und zerlegt wird, bedaure ich als Auslassung; Butler hat sich stattdessen als Hauptgegner eine patriarchale Vorstellung von Wissenschaft und Wahrheit ausgesucht, die im von Frost so verehrten Club gepflegt wird – da will man sich sogar noch den Gedanken der Evolution verweigern, weil damit ja die Ordnung der Dinge und vor allem der Menschen in Frage gestellt wird.

Unter den Laika-Filmen, die natürlich eine sehr hohe Messlatte vorlegen, ist Mister Link dennoch der womöglich schwächste; die Figuren wirken weniger lebendig, weniger ausdrucksstark, als man es vom Studio kennt, es fehlt auch die Doppelbödigkeit, Abgründigkeit der Handlung, die Ambivalenz aller Figuren.

Und trotzdem ist das ein äußerst unterhaltsamer Film geworden, ein Abenteuerstreifen, der ganz ohne das Dauergekreische und die Daueraction auskommt, die zu viele Kinderfilme für nötig erachten, der sich auch einmal Zeit lässt für einen Blick auf seine zauberhafte Welt oder seine Figuren, die sich so wichtig nehmen, dass sie eigentlich nur lächerlich wirken können – zumindest so lange, bis sie den Stock aus dem Arsch nehmen und ihr Herz öffnen für die Welt. Und dagegen lässt sich nun wahrlich nichts einwenden.

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Mister Link – Ein fellig verrücktes Abenteuer (Missing Link). USA 2019. Regie: Chris Butler, 94 Min. FSK 6, empfohlen ab 9 Jahren. Kinostart: 30. Mai 2019. (Bestellen bei amazon.de)

(Fotos: Entertainment One)

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