Filmkritiken

Paddington (2014)

Der Film hält sich nicht lange mit nostalgischen Prätentionen auf: In Paddington geht es nicht darum, die alten Trickfilmserien wieder aufzunehmen oder eine werkgetreue Verfilmung der Bücher von Michael Bond vorzunehmen. Damit solche Vorstellungen gar nicht erst aufkommen, beginnt Paul King seinen Film – mit echten Schauspielern und einem computeranimierten Paddington – mit einer ganz neuen Perspektive: die Herkunftsgeschichte des freundlichen Bären im dunklen, geheimnisvollen Peru.

Und die ist zuerst ein Rückblick, eine schnarrende Berichterstattung auf Schwarzweiß-Zelluloid, die von den Erlebnissen eines britischen Entdeckers in Peru stößt, der auf zwei sprechende Bären trifft. Er überzeugt sie so sehr von britischer Lebensart, Kultur und vor allem „marmalade“, Orangenmarmelade, dass sie dies später ihrem Ziehsohn weitergeben – und der wird dann an Bord eines Containerschiffes als blinder Passagier die Reise nach London antreten.

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So schlägt Paddington schon in seiner ersten Viertelstunde einen Bogen von der britischen Entdeckungs- und Kolonialgeschichte hin zum London der Gegenwart – dass das zeitlich nicht ganz hinhaut, ist dabei ziemlich egal, weil es hier auch sonst nicht primär um Realismus geht, sondern um einen sprechenden Bären und die Art und Weise, wie er in seiner Wahlheimat aufgenommen wird.

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Der noch namenlose Bär (bzw. nur mit einem Namen ausgestattet, den Menschen nur auf sehr unhöfliche Weise nachzuahmen in der Lage wären) trifft auf die Familie Brown – und auch sie ist von King elegant modernisiert worden. Statt der doch sehr Old England ausstrahlenden Familienkonstellation der Bücher (inkl. Hausangestellter) präsentiert der Film eine freundlich dysfunktionale Familie mit knarzigem, risikoscheuen Vater, leicht exaltierter Mutter und zwei sehr unterschiedlichen Kindern – aus der leicht beängstigenden Mrs. Bird wird eine entfernte Verwandte, die mit im Hause lebt und (natürlich) am Ende zur Stimme der emotional reifen Vernunft wird.

Dazwischen also ein Bär, dessen Talent dafür, harmlose Situation in mehr oder weniger exzessives Chaos entgleiten zu lassen, im Film reichlich Anlass für perfekt choreographierten Slapstick bietet. Wo in den Büchern eher Understatement herrscht, wirft die Destruktion im Film schon etwas höhere Wellen, aber King hat auch hier der Versuchung widerstanden, nur auf die brachiale Weise Humor zu erzeugen, sondern hält gut die Balance zwischen kleinen und großen Momenten des Durcheinanders.

Stattdessen ist es oft genug die British-ness der Protagonisten – Höflichkeit und Beharrlichkeit, nur als Beispiele –, die für subtile Komik sucht sorgt, oder auch der Anspruch des kleinen Bären ans Britisch-Sein, gelernt von Schallplatten aus der Kolonialzeit, der sich mit der Gegenwart Londons nicht immer verträgt, allein schon wenn die guten Manieren des Bären nicht wirklich erwidert werden, weil sie – anders als in den Büchern – schon etwas antiquiert wirken müssen. Oder ein Moment des Cross Dressing, der ohne die (vor allem in deutschen „Komödien“) übliche unterschwellige Peinlichkeit auskommt und ganz und gar an Monty Python gemahnt und klar macht: King hat sich für seinen Film definitiv nicht immer für das Einfache und Niedliche entschieden.

Herausgekommen ist ein nahezu perfekter, flotter, sehr unterhaltsamer Film, der sich gelegentlich auch recht ungeniert bei anderen Filmen bedient – das Haus der Browns wird aufgeschnitten wie in den Tableaus von Wes Anderson, und zwischendurch wird Mission: Impossible zitiert. Die einzige Schwäche von Paddington ist allerdings ein Handlungsstrang ist, in dem Nicole Kidman die böse Präparatorin Millicent spielt, die Paddington zu einem ausgestopften Museumsexponat machen will. Das hält in der Handlungslogik des Films die zwei letzten Drittel des Films zusammen, bringt aber auch eine Spannung von Protagonist/innen zu Antagonistin hinein, die den Erzählungen von Michael Bond wesensfremd sind und deshalb auch im Film recht aufgestülpt wirken.

Vielleicht hat King die Geschichte aber auch eingewoben, um seinem größeren Thema noch einen zusätzlichen Aspekt zu verleihen. Denn eigentlich handelt Paddington unter seiner lustvoll freundlichen Oberfläche von wesentlich herberen Abgründen, unserem Umgang mit Fremden, von Migration und Immigration. Der Bogen zur Kolonialgeschichte wird am Anfang des Films nicht umsonst geschlagen – sie dient in einer späteren Szene als Exempel für eine ausschließende „Leitkultur“, und dieses alte Großbritannien ist noch lange nicht verschwunden. Sogar das Pressematerial zum Film nimmt dieses Thema auf; zur Musikauswahl sei der Regisseur inspiriert worden durch „die wunderbare, fröhliche und politisch brisante Musik der Einwanderer von Notting Hill“, wie es dort etwas ungelenk heißt.

Der Bär aber blickt in den Kern der modernen Großstadt: „In London nobody’s alike, which means that everyone fits in.“ Wenn ihn die Welt nur lässt. Paddington ist deshalb (und war es womöglich schon in den Büchern) eher die Geschichte davon, wie sich die Browns als paradigmatisch zu denkende britische Familie dem Fremden gegenüber verhalten und öffnen – aber dazu bedarf es eben, verkörpert in Mrs. Brown, der grundlegenden Bereitschaft dazu. Denn einen Bären, der einsam und zerzaust am Bahnhof sitzt, den nimmt man nicht einfach so mit nach Hause. Auf das Abenteuer muss man sich schon einlassen.

Nachtrag 30.11.14: Nachdem ich den Film heute Nachmittag in der Premiere mit den Kindern zusammen ansehen durfte, sei ihr Urteil hier noch nachgetragen – denn die beiden fanden den Film zwar eigentlich gut (und haben viel gelacht), aber die Antagonistin alias Millicent (Nicole Kidman) hat ihnen fast den Film ganz kaputtgemacht. Einerseits verstehen sie als Paddington-Kenner (die Hörbücher liefen im Sommer bei uns rauf und runter) nicht ganz, was die Figur da eigentlich soll, andererseits macht sie ihnen richtig Angst.

Mir selbst erscheint die Figur im Gesamtthema des Films durchaus stark verankert – Millicent steht exemplarisch für eine Haltung, die nicht nur kolonialistisch-erobernd ist, sondern das Fremde/den Fremden/die Fremde eben nur als ausgestopft, als Ausstellungsstück erträgt. Sie ist die zugespitzte Bedrohung, der sich Paddington gegenübersieht, und es ist Aufgabe der Browns (vor allem Mr. Browns, der dem Bären zunächst so skeptisch gegenübersteht), sie zu überwinden. Gleichwohl ist sie natürlich den Erzählungen Bonds wesensfremd.

Aber hier wäre ich auf eine Diskussion erpicht: Wie haben Eure Kinder das wahrgenommen? Wie Ihr? Und möchte zugleich die Empfehlung aussprechen: Eigentlich ein Film erst ab 6 Jahren, und für zarte Seelen mit Vorsicht zu genießen. Aber eben doch auch sehr toll.

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Paddington, Großbritannien/Frankreich 2014, Regie: Paul King, 95 Min. FSK 0, Kinostart: 4. Dezember 2014.

(Fotos: Studiocanal)

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