Es sträubt sich in mir, auch nur einen kleinen, gewissermaßen miniaturisierten (haha!) Text zu diesem Film zu verfassen und ihm damit nur einen Hauch mehr von Öffentlichkeit zu verschaffen, aber es nützt ja nichts, das muss von der Seele. In meinem kürzlich an einem Samstag durchgezogenen Deutsche-Kinderfilme-im-Kino-Marathon (den ich bei Twitter leider allzu zutreffend mit dem Hashtag #bisdieaugenbluten benamst hatte), war Der kleine Medicus der absolute, schmerzhafte und nicht unterbietbare Tiefpunkt.
Es gibt, das sollte ich wohl sagen, noch schlechtere, noch lieblosere Filme. Jets – Helden der Lüfte, ebenfalls von mir besprochen, ist so ein Fall – da kam zu lieblosem Drehbuch und grauenvoller Animation auch noch klar zum Vorschein, dass der Film nur entstanden war, um Leute ins Kino zu locken, die eigentlich Disneys Planes hatten sehen wollen – reine Geldschneiderei aus niederen Motiven und mit niederen Fähigkeiten. Aber ich wollte ja heute über einen anderen Film schimpfen.
Der kleine Medicus also, Untertitel „Bodynauten auf geheimer Mission im Körper“, wer hat das eigentlich zu verantworten? Entstanden nach einem Buch von „Prof. Dietrich Grönemeyer“ (neue Faustregel: traue nie einem Film, der es für nötig erachtet, seine Macher in Vor- und Abspann mit akademischen Titeln zu nennen), das ich nicht gelesen habe. Der Mann ist Mediziner, zudem eine Medienpräsenz, aber das muss ja nicht verkehrt sein; sein Name ist natürlich nicht zuletzt wegen seines Bruders (Sie wissen schon, Flugzeuge im Bauch und so, nicht medizinisch zu verstehen) bekannt.
Der Filmtitel hingegen spielt wenig subtil auf Der Medicus an, den Erfolgsroman von Noah Gordon, der ja auch irgendwie verfilmt worden ist, und verspricht ähnlich saftige Unterhaltung fürs kindliche Publikum, aber das ist natürlich Quatsch: Es gibt eine miserabel für Kinder adaptierte Version einer Story, die schon mehrfach und wesentlich besser im Kino zu sehen war. Joe Dante hat den sehr unterhaltsamen Die Reise ins Ich gemacht, dessen Vorbild natürlich Die phantastische Reise ist, in dem u.a. Raquel Welch in einem miniaturisierten Spezial-U-Boot einen menschlichen Körper durchreist, es ist recht aufregend und in seinen Spezialeffekten sehr 60er, aber so war die Zeit.
Es gibt das Thema auch schon für Kinder aufbereitet, was wenig bekannt ist, mit dem norwegischen Auf der Jagd nach dem Nierenstein, auch bekannt als Die phantastische Reise des kleinen Simon. Der kleine Medicus nun gibt sich eine vage pädagogisch-lehrreiche Fassade, das will man wohl mit dem „Professor“ im Vorspann suggerieren, und dann hat auch noch die Barmer Ersatzkasse den Film finanziell unterstützt – und man darf wohl vermuten, auch inhaltlich mitgeredet, sonst wäre diese grauenvoll fade Handlung, diese bürokratisch anmutende Langeweile, die die 78 Minuten Film durchzieht (eigentlich gnädig kurz, in diesem Fall nur mühsam erträglich lang), womöglich den kreativen Ergüssen von Herrn Grönemeyer und den Drehbuchautor_innen Elfie Donnelly und Paul Arató zuzurechnen, und das wäre in der Tat bestürzend.
Es geht, in aller gebotenen Kürze, um den kleinen Nano (der Name!), der bei seinen Großeltern aufwächst; seine verstorbenen Eltern waren wohl Wissenschaftler, deshalb interessiert er sich ebenfalls für Biologie. Außerdem interessiert er sich für seine Klassenkameradin Lilly, die wiederum nicht einmal weiß, dass sie ein Biologiebuch besitzt. Wer dem Film deshalb Sexismus vorwirft, dem wird man eventuell entgegnen, die schlauste Person des Films sei aber Micro Minitec (der Name!), die die „Miniaturisierung“ erfunden hat – das ändert aber nichts daran (meine geschätzte Kollegin Sophie hat da völlig recht in ihrer Einschätzung), dass Lilly, wie auch Nanos Schwester, die sich nur für Klamotten und ihr Aussehen interessiert, sexistische Zerrbilder von Weiblichkeit sind. Was umso schlimmer ist, weil Lilly in diesem Film für Kinder offenbar als Identifikationsfiguren für junge Mädchen dienen soll.
Weil jedenfalls Nanos Großvater von dem wahnsinnigen und bösen Professor Schlotter (der Name!) mit einem miniaturisierten Roboter injiziert wurde (der aussieht wie Roboter in Science-Fiction-Filmen der 1960er Jahre), der sich nun an die Gehirnfunktionen des alten Mannes heranmacht, muss jemand hinterher, und Rappel, der einzige ausgebildete „Bodynaut“ (der Name!) in Micros Team, hat sich leider gerade die Hand verletzt. (Genauer: die Pfote, denn Rappel ist ein kindergroßes rosa Kaninchen, das denken und reden kann. Warum? Weil, keine Ahnung, hey Kinderfilm, wir brauchen was Plüschiges?)
Aus Gründen, die weder klar sind noch irgendwie wichtig sind, müssen also Nano und Lilly sich als „Bodynauten“ miniaturisieren lassen, ab geht’s in den Körper, dann wird ein Bandscheibenvorfall mit einem Wusch weggelasert, anschließend aber auch im Gehirn rumgeballert. Das ist wohl der Teil, der vage lehrreich sein soll, aber als ehemaliger Medizinstudent (drei Semester, viele Anatomieprüfungen) kann ich Ihnen versichern: Da lernt man nix über Anatomie, Physiologie oder sonst irgendwas Sinnvolles, das ist blödester Sci-Fi-Humbug, grob vereinfachend noch dazu, und so wenig anschaulich, dass man sich wundert, wenn ein Kind überhaupt mitbekommt, wo im Körper die „Bodynauten“ sich gerade befinden.
Die furchtbare, so lieb- wie leblose Animation tut ihr übriges dazu – hier sieht alles gleich aus, die Oberflächen sind glatt und ohne Texturen – Playmobilfiguren strahlen mehr Leben aus als die Menschen in Der kleine Medicus, egal, ob man sie von innen oder von außen sieht. Da außerdem nie die geringste Spannung aufkommt, ist es wirklich ganz egal, was geschieht: das Gute wird schon obsiegen, dafür ist Schlotter ein viel zu karikierter, ungefährlicher Oberschurke. Selbst sein Gehilfe hat nicht wirklich Angst vor ihm.
Ich könnte jetzt womöglich noch seitenweise weiterschimpfen, über das nicht nur latent rassistische Stereotyp eines Asiaten, das Micro Minitecs Chef „Dr. X“ (der Name!) darstellt, über die Frechheit, dass eine gesetzliche Krankenkasse Geld und Zeit in so einen Rotz investiert, oder den Umstand, dass ein qualitativ so niederes Animationsmachwerk ohne den Funken eines originellen Gedankens bundesweit in Kinos läuft, während wirklich sehenswerte, gut gemachte, einzigartige Trickfilme (ich denke jetzt zum Beispiel an Ernest & Célestine, AninA und Der Junge und die Welt) keinen Kinostart bekommen oder nur in wenigen Sälen der Republik zu sehen sind – es ein Trauerspiel zu nennen, wäre Beschönigung, es ist ein cineastischer Skandal.
Bitte entschuldigen Sie mich, ich muss jetzt auf den Teppich kotzen.
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Der kleine Medicus – Bodynauten auf geheimer Mission im Körper, Deutschland 2014. Regie: Peter Claridge, 78 Min. FSK 0, Kinostart: 30. Oktober 2014.
(Fotos: Senator)
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